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Bericht zum Online-World Café

Unsere Körper, unsere Rechte? Sexuelle und reproduktive Rechte von Migrantinnen in Deutschland

Veranstaltungsbericht und Reflexion

In Kooperation mit LAFI NK e. V. begrüßte DaMigra Ende November 2021 mehr als 20 Teilnehmerinnen im Online World Café. Anlass dieser Veranstaltung war der Themenmonat November, der im Zeichen des Kampfes gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen steht.

Gewalt an Frauen hat viele Gesichter und sie richtet sich gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Auch können staatliche und gesellschaftliche Kontrollen über unsere reproduktiven und sexuellen Rechte ein selbstbestimmtes Leben verhindern. Migrierte und geflüchtete Frauen sind bei der Wahrnehmung ihrer Rechte aber nicht nur sexistischer, sondern auch rassistischer Diskriminierung ausgesetzt.

Der Zugang und die Information zu Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland sind hierfür beispielhaft zu nennen. §218 und §219a des StGB kriminalisieren zum einen den Abbruch und verhindern zum anderen, dass praktizierende Ärzt*innen öffentlich informieren dürfen, dass sie Abbrüche vornehmen. Geflüchtete und migrierte Frauen wissen darüber hinaus oftmals nicht, welche reproduktiven Rechte ihnen in Deutschland zustehen. Die fehlende Sprachmittlung und rechtliche Aufklärung in Gemeinschaftsunterkünften und Arzt-Praxen stellen neben rassistischer Diskriminierung zusätzliche Barrieren für migrierte oder als solche gelesenen Frauen dar.

Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben von Frauen und Mädchen wird dabei bewusst oder unbewusst von Gesellschaft, Familie und auch vom Staat eingeschränkt. Wir möchten daher mit Euch in den Austausch kommen und Eure individuellen Erfahrungen hören. Ziel dabei ist es, uns mit unterschiedlichen Verständnissen von Sexualität und Selbstbestimmung, aber auch mit unseren Rechten auseinanderzusetzen.

An drei Thementischen setzten wir uns daher zur Gewalt gegen das Ausüben sexueller und reproduktiver Rechte auseinander:

  1. „Was sind sexuelle und reproduktive Rechte?“
  2. „Sexuelle Bildung für ein selbstbestimmtes Leben von Frauen und Mädchen – Erfahrungen aus/in den Communities“
  3. „Sexuelle und reproduktive Rechte wahrnehmen – negative und positive Erfahrungen in Behörden, bei Ärzt*innen usw.“

Die Teilnehmerinnen aus Migrantinnenorganisationen, Politik und Bildungs- und Beratungszentren zu sexueller Gesundheit wechselten per Zufallsprinzip alle 30 Minuten die virtuellen Tische. Dadurch waren die einzelnen Arbeitsgruppen nie gleich besetzt und ein persönlicher Austausch war durch die Kleingruppenarbeit möglich. Die Ergebnisse wurden von den Moderatorinnen von DaMigra und LAFI NK e.V. auf einem Miro Board festgehalten.

Im Folgenden ordnen wir die wichtigsten Ergebnisse der Tische im Kontext des neuen Koalitionsvertrages 2021 (KoaV) der Bundesregierung ein:

Tisch 1) Was sind sexuelle und reproduktive Rechte?

An Tisch 1 stellten die Teilnehmenden fest: Bildung über Sexualität und sexuelle Gesundheit sind nicht einheitlich. Und auch der Zugang zur sexuellen Bildung ist nicht für alle gleich.

Weiter zeigten die Erfahrungen der Teilnehmenden: Die Bildung über das Recht auf eine selbstbestimmte sexuelle Identität wird tabuisiert. Angst und Scham begleiten oftmals Unterhaltungen über das Thema. Dabei ist Lust ist ein fundamentaler Aspekt der Sexualität, wird aber in herrschenden Diskursen, vor allem für weiblich gelesene Körper unterbunden.

Die Reproduktive Selbstbestimmung ist auch Thema der neuen regierenden Parteien. Im neuen Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht, dass Schwangerschaftsabbrüche Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung werden sollen. Es ist eine flächendeckende Versorgung mit Beratungseinrichtungen für Schwangere sowie die Streichung des § 219a StGB geplant.[1]

Tisch 2) Sexuelle Bildung für ein selbstbestimmtes Leben von Frauen und Mädchen

Die Teilnehmerinnen stellten fest: Die Sexualität der Frauen ist häufig mit Ängsten verbunden, sei es wegen Religion, Tabus oder Gewalterfahrungen. Viele Frauen erzählten, eine heteronormative und binäre sexuelle Bildung pathologisiert(e) ihr Begehren und konditioniert(e) somit sozial erwünschtes Verhalten der Frauen.

Tisch 3) Sexuelle und reproduktive Rechte wahrnehmen- Erfahrungen in Behörden, bei Ärzt*innen usw.

Die Erfahrungsberichte der Frauen zeigten: Für Migrant*innen stellt fehlende Sprachmittlung eine Barriere dar, um die sexuelle und reproduktive Entscheidung selbst zu bestimmen. Dabei waren sich alle einig: Kinder und Angehörige sollen auf keinen Fall die Rolle als Sprachmittler*innen übernehmen.

Außerdem sind Fachkräfte in Behörden oder Krankenhäuern nicht intersektional ausgebildet. Häufig reproduzieren sie rassistische Muster in ihrer Arbeit. Ärzt*innen mit traditionellen Bildern über Familie und Reproduktion können damit die selbstbestimmte Entscheidung von Patient*innen, unabhängig von ihrer Herkunft, verhindern.

Auch zu diesen Themen gibt es einige Neuerungen im Koalitionsvertrag. So wird zum einen die Digitalisierung im Gesundheitswesen angestrebt. Die Sprachmittlung soll dann auch mit Hilfe digitaler Anwendungen im Kontext notwendiger medizinischer Behandlung Bestandteil des Sozialen Gesetzbuch sein.[2] Außerdem sollen geschlechtsbezogene Unterschiede in der Versorgung, bei der Gesundheitsförderung und Prävention sowie in der berücksichtigt und Diskriminierungen abgebaut werden.[3] Die neue Regierung plant mit Hilfe einer staatlichen Koordinierungsstelle die Istanbul-Konvention vorbehaltlos umzusetzen. Dabei will die Bundesregierung die Bedarfe „vulnerabler Gruppen wie Frauen mit Behinderung oder geflüchteter Frauen sowie queerer Menschen“ berücksichtigen.[4]

Wir stellen fest, dass es eine große Schnittmenge zwischen aktuellen Bestrebungen der Bundesregierung gibt, Diskriminierungen abzubauen und die sexuellen und reproduktiven Rechte zu stärken. Gleichzeitig liegt es an der Politik und auch dem Druck der Zivilgesellschaft, inwiefern die Hüllen des Koalitionsvertrages mit Leben gefüllt werden. Hierfür setzt sich DaMigra auch im Jahr 2022 tatkräftig ein.

Wir planen eine Folgeveranstaltung zum Thema, in der wir die juristischen Grundlagen für sexuelle und reproduktive Rechte für migrierte und geflüchtete Frauen beleuchten wollen. Für den Menstruationshygiene Tag am 28. Mai 2022 entwickeln wir gemeinsam mit LAFI NK e. V. ebenfalls Workshops rund um die Periode und dekoloniale Ansätze in Bezug auf die Ausbeutung von Körpern. Hierfür nehmen wir die Erfahrungen aus den vergangenen Workshops mit. Dazu gehört die Erkenntnis, dass für die jeweiligen Tische mehr als 30 Min veranschlagt werden sollten, um den Teilnehmerinnen mehr Raum für den Austausch zu geben.

Was wir außerdem mitnehmen:

Gerade in Bezug auf die sensiblen Themen und persönlichen Diskriminierungserfahrungen von Rassismus betroffenen Frauen möchten wir Save Spaces in den Workshops schaffen. Das Konzept der sicheren Räume ist notwendig, damit die betroffenen Personen, ohne sich rechtfertigen zu müssen oder sich beobachtet zu fühlen von ihren Erfahrungen sprechen können.

Dazu gehört ggfs. Informationsveranstaltungen anzubieten, bei denen alle Interessierten teilnehmen können — und Workshops ausschließlich für von Rassismus betroffene durchzuführen. In jedem Fall ist die Struktur der Veranstaltung inklusive der Entscheidung, ob die Teilnahme weißer, nicht von Rassismus betroffener Menschen möglich ist, klar für alle Teilnehmenden vor der Veranstaltung zu kommunizieren. Dazu gehört auch, nicht von Rassismus betroffenen Teilnehmerinnen zu vermitteln, dass jeder Austausch respektvoll zu gestalten ist und wir ein „konsumierendes Verhalten“ in unseren Veranstaltungen ablehnen. Dazu gehört beispielsweise, sich nicht einzubringen und von Rassismus Betroffene in der „Bringschuld“ zu sehen, ihre Erfahrungen zu rechtfertigen oder zu erläutern.

Das Thema Körperarbeit möchten wir auch in den Folgeveranstaltungen nutzen, das bedeutet „Check in“ und „Check out“- Runden in die Veranstaltungen einzubauen, um Platz für entstandene Gefühle und Gedanken zu schaffen.

Das gesamte Programm der Veranstaltung vom 29.11.2021 mit den Informationen über alle Podiumsgästinnen finden Sie hier.

DaMigra e.V. ist die Interessenvertretung von Migrantinnen*selbstorganisationen und ihren Belangen und setzt sich für Chancengerechtigkeit, gleichberechtigte Teilhabe und für die Gleichstellung von Frauen mit Migrationsgeschichte und Fluchterfahrung in Deutschland ein. DaMigra verfolgt den Ansatz des Antirassistischen Feminismus.

LAFI NK e.V. ist eine lateinamerikanische Fraueninitiative aus einem von Migrationserfahrungen geprägten Stadtteil in Berlin. LAFI kämpft für die Achtung der Vielfalt in der Gesellschaft und den sozialen Wandel. Aus der Migrantinnenperspektive möchten wir unsere Gesellschaft auf politischer, kultureller und sozialer Ebene bereichern.  LAFI verfolgt den Ansatz des Antirassistischen Feminismus und ist gegen jede Art von Gewalt, Rassismus, Machismo, Homophobie und sonstige Diskriminierung.  


[1] Koalitionsvertrag der Bundesregierung, S. 116.

[2] Ebd. S.84.

[3] Ebd.

[4] Ebd. 114.

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