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Bericht „Antirassistischer Feminismus – Jetzt erst recht!“

Im Vorfeld des internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen organisierte DaMigra e.V. in Zusammenarbeit mit der Mitgliedsorganisation Tutmonde e.V. und der Hansestadt Stralsund am 23. November 2020 eine online Podiumsdiskussion. Diskutiert wurde über Antirassistischen Feminismus.

Zu Beginn der Podiumsdiskussion fand Duygu Bräuer, Vorstand von DaMigra, in ihrer Begrüßungsrede klare Worte zur Forderung nach antirassistischem Feminismus:

„Es genügt nicht, antirassistisch zu sein. Es genügt nicht, feministisch zu sein.
Erst wenn Feminismus Antirassismus, und umgekehrt Antirassismus Feminismus beinhaltet, ist dem Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 wirklich Rechnung getragen.“

Hintergrund der Forderung nach antirassistischem Feminismus ist Intersektionalität oder auch Mehrfachfachdiskriminierung. Reem Alabali-Radovan, Integrationsbeauftragte der Landesregierung MecklenburgVorpommern, erklärte, was Intersektionalität für sie bedeutet:

„Nicht nur aufgrund ihrer Herkunft und aufgrund ihres Geschlechts, sondern oft auch aufgrund ihrer Religion, wenn es um muslimische und jüdische Frauen* geht. Wir alle müssen anfangen, intersektional zu denken. Das musste ich auch erst durch meine Arbeit als Integrationsbeauftragte lernen. War mir vorher nicht so bewusst, dass Feministinnen* nicht gleich Antirassistinnen sind oder, dass man in der Antirassismusarbeit nicht gleich feministisch denkt. Intersektional zu denken bedeutet, dass man diese verschiedenen Diskriminierungsdimensionen, die es ja gibt, zusammen zu decken, da sie einander bedingen.“

Geflüchtete, migrierte und als solche gelesene Frauen* sind im Alltag oft von Mehrfachdiskriminierung betroffen. Das wirkt sich auf viele Lebensbereiche aus. Zum Beispiel führt es zu einem eingeschränkten Zugang zu Bildung und Arbeit. Ulrike Seeman-Katz, ehrenamtliche Geschäftsführerin des Flüchtlingsrat MecklenburgVorpommern nannte dafür beispielhaft zwei Situationen:

„Menschen aus dem Iran haben beispielsweise haben aufgrund ihrer Vorbildung bessere Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt als Menschen aus Afghanistan, die wenig Schulbildung haben. Es wird verallgemeinert und nicht auf den einzelnen Menschen eingegangen.“

„Bei einer sich bewerbenden Frau* mit Kopftuch, ist es garantiert so (die Arbeit gehört sowieso dem niedrig qualifizierten Sektor an), dass die Frau* mit Gewissheit nicht genommen wird, sondern der Mann. Die Teilnahme am Sprachkurs bekommt der Mann, er wird in den Kurs geschickt, weil die Frau* die Kinder betreuen muss. Die Mitarbeiter in den Jobcentern machen sich keine Gedanken, wie ich die Frauen* kulturell ansprechen kann. Das ist eine Frage der interkulturellen Bildung. Man muss sich immer wieder sich hinterfragen in Bezug auf interkulturelle Bildung, Sexismus.“

Auch die politische Teilhabe migrantischer Frauen* wird durch Mehrfachdiskriminierung erschwert, eingeschränkt oder sogar verhindert, wie Reem Alabali-Radovan nochmal verdeutlichte:

„Institutioneller und struktureller Rassismus führt dazu, dass die Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe und Chancengleichheit ist nicht gut verteilt. Es gibt keine Chancengleichheit. Migrantische Frauen können nicht überall teilhaben. Dazu kommt der alltägliche Rassismus. Mehrere Dimensionen führen dazu, dass sich migrantischen Frauen mehr und mehr zu Hause zurückziehen. Selbst migrantische Frauen, die in die Politik gehen, erfahren extreme Hetze, diese Frauen ziehen sich dann logischerweise auch zurück und sie verlieren das Vertrauen in die Politik, das System und in ihre Arbeit. Dieses Vertrauen wieder aufzubauen ist sehr schwierig.“

Wichtig für gesellschaftliche und politische Teilhabe sind institutionelle Strukturen, in denen die Belange und Forderungen migrantischer Frauen* Gehör finden können. Wie es um solche Strukturen in Mecklenburg-Vorpommern bestellt ist, legte Jana Michael, Gründerin von Tutmonde dar:

„Wir brauchen diese Strukturen. In MV gibt es sehr schwache Strukturen, einige wurden ad hoc 2015/2016 eingerichtet und aufgebaut. 2008 kam bereits der Vorschlag für eine Integrationsbeauftrage der Regierung. Umgesetzt wurde es erst ganze acht Jahre später. Das Thema Migration war überhaupt nicht mit den weißen Strukturen verbunden. Ist bisher noch sehr am Rande. Da sind wir in MV stark dabei, diese zu erarbeiten. 2020 war ein sehr gutes Jahr für uns. Es entstand eine Arbeitsgruppe im Landesfrauenrat, dort reinzukommen war ein riesiger und schmerzhafter Prozess, weil die deutschen Frauen dort sind. Die Gründung eines Frauenbeirates bei dem einzigen Dachverband der MO in MV ist auf dem Weg. Aber diese Prozesse sind sehr langsam. Das Thema muss bei den Frauen erst ankommen und muss dann in die Strukturen. Politische Teilhabe kommt nicht durch, kommt nicht an. Die CDU antworten nicht einmal. Andere Parteien wie zB die Linke reagiert manchmal gar nicht. Eine riesige Zuneigung erleben wir nicht und das Thema Migration wird in MV weiterhin zur Seite geschoben. Wir sind im Jahr 2020 und kämpfen immer noch für dieselben Frauenrechte, die sich die Frauen bereits vor 200 Jahren auf die Fahne geschrieben haben.“

Am Ende der Podiumsdiskussion gab es noch eine offene Fragerunde. Aus dem Publikum kam die Frage, welche Strategien es gibt, dass alle Menschen über ihre Rechte und vohandene Struktur gegen Mehrfachdiskriminierung zu erfahren, um selbstbestimmt zu handeln. Dagmar Kaselitz, Mitglied des Landtages Mecklenburg-Vorpommern, Sprecherin der SPD-Fraktion für Entwicklungs- und Migrationspolitik deutete auf die fehlenden Strategien und wichtige Rolle der MSO:

„Eine richtige Strategie in alle Richtungen haben wir ja nicht, aber es gibt viele Institutionen, die sich in der migrantischen Arbeit aufgestellt haben. Wenn alle Institutionen alle Informationen vorrätig hätten, könnte man sie streuen. Sich an die MSO wenden, um die vorhandenen Strukturen nutzen zu können.“

Die Moderatorin, Andrea-Vicky Amankwaa-Birago, Expertin für Vielfalt, Rassismuskritik, Empowerment und Qualitätsmanagement stellte zum Abschluss die Frage, wie sich die Teilnehmerinnen* den antirassistischen Feminismus 2030 vorstellten. Auf diese Frage antwortete Dr. Delal Atmaca, Geschäftsführerin von DaMigra, mit einem wichtigen Statement:

„Bei dem Tempo in Deutschland werden wir noch ungefähr 100 Jahre brauchen, eine Gleichberechtigung der Frauen zu haben. Wenn wir in 10 Jahren zum Beispiel das Thema Antifeminismus nicht mehr erklären müssen, dann haben wir sehr viel erreicht!“
Es war ein fruchtbarer Austausch. Die Bedürfnisse der Migrantinnen* und geflüchteten Frauen* wurden ernst genommen. Solidarisches Miteinandersein wurde gestärkt. Wir danken allen Teilnehmenden für die Beiträge, Fragen, Anregungen und Antworten und fordern auch weiterhin den antirassistischen Feminismus ein. Jetzt – erst recht!

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