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Bericht: Migration und Gender Pay Gap – Frauen* mit Flucht- und Migrationsgeschichte in der Corona-Pandemie

Die Lohnlücke zwischen herkunftsdeutschen Frauen und Migrantinnen liegt bei etwa 20 %. Insgesamt belegt Deutschland in Sachen Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt im internationalen und EU-Ländervergleich auch dieses Jahr einen der Spitzenplätze der hinteren Ränge. Im Rahmen eines digitalen Runden Tisches diskutierten Vertreterinnen* aus Wissenschaft, Politik und Praxis zum Thema ,Migration und Gender Pay Gap – Frauen* mit Flucht- und Migrationsgeschichte in der Corona-Pandemie‘. Dazu hatte der Dachverband der Migrantinnenorganisationen, DaMigra e.V., am 27.05.2021 eingeladen.

Klare Worte zur politischen Situation um den Migration und Gender Pay Gap in Deutschland findet Kook Nam Cho-Ruwwe, Vorstandsvorsitzende von DaMigra, in ihrem Grußwort:

„Trotz teilweise besseren Qualifikationen stehen Migrantinnen aufgrund des Geschlechts sowie des Migrationsstatus schlechter da und werden schlechter behandelt. Sie erhalten weniger Gehalt, erhalten kaum eine soziale Absicherung und erleben schlechtere Arbeitsbedingungen […] Nur wenn wir zusammenarbeiten und im Dialog bleiben kann dafür gesorgt werden, dass es keine 200 Jahre oder mehr braucht, bis wir in einer gleichberechtigten Gesellschaft leben – unabhängig von irgendwelchen Herkünften oder Zuschreibungen.“

Die Corona-Pandemie hat die Lage für Migrantinnen und Frauen mit Fluchtgeschichte nochmals zugespitzt. Viele Frauen, die vor allem prekäre Jobs ausüben, haben ihre Arbeit verloren. Migrantinnen sind die Letzen, die am Arbeitsmarkt Fuß fassen können, und die Ersten, die aus dem Arbeitsmarkt verdrängt werden.

Vom Paradoxon der Systemrelevanz und gleichzeitig schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen sind überproportional Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte betroffen.

39,5 % der hochqualifizierten Arbeitskräfte in Deutschland hatten einen Migrationshintergrund. Trotz der hohen Qualifikation sind sie hauptsächlich im Niedriglohnsektor unter prekären Arbeitsbedingungen, also in Reinigung, Pflege, Gastronomie, Logistik und Verkehr, beschäftigt. Die Faktoren Sprache, soziale Netzwerke und Aufenthaltstitel kommen erschwerend hinzu. Das führt zu ungleichen Startbedingungen. Insbesondere während der Pandemie hat sich gezeigt, dass Arbeitskräfte mit Migrationsgeschichte überproportional in systemrelevanten, aber prekären Berufen repräsentiert sind. Ebenfalls überrepräsentiert sind hier Arbeiter*innen der ersten Generation. Dies führte Dr. Ewa Palenga-Möllenbeck, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität Frankfurt, aus.

Aus gewerkschaftlicher Perspektive ist vor allem eine Reform der Arbeitsmarktpolitik notwendig, hier insbesondere die prekären Minijobs, denn diese betreffen vor allem migrierte und geflüchtete Frauen. Minijobs bieten kaum eine soziale Absicherung, welches unweigerlich zu Altersarmut führe, so Ulrike Laux, Bundesvorstandmitglied der IG Bau. Ein weiterer Aspekt sei die Arbeitsmarktmigration, bei der Fachkräfte aus dem Ausland abgeworben und nach Deutschland gebracht werden, die aber hier vor Ort katastrophalen Arbeitsbedingungen erfahren. Um den Migration- und Gender Pay Gap abzubauen, brauche es konkrete Maßnahmen. Eine entsprechende Tarifpolitik könne hier helfen. Vollzeitanstellungen in Dienstleistungssektoren wie Facilitymanagement seien zudem unabdinglich, um den Migration- und Gender Pay Gap abzubauen, so Laux.

Wie kommt es zu so einem offensichtlichen Widerspruch zwischen Systemrelevanz dieser Berufe einerseits und der prekären Arbeitsbedingungen bzw. fehlender gesellschaftlicher Anerkennung und Wertschätzung andererseits?

Trotz dieses Wiederspruches scheint dieses Modell, wo sehr viele migrierte und geflüchtete Frauen arbeiten, als gewinnbringend für beide Seiten gesehen zu werden. Prekäre Arbeitsverhältnisse, etwa 24-Stunden-Arbeitstage und geringe Löhne, gelten als zumutbar für Migrantinnen. Dies sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, so Palenga-Möllenbeck, und funktioniere nur über den „Othering“-Prozess. Bei diesem Ansatz werden bestimmten Gruppen eine Andersartigkeit und ein niedrigerer Status aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Herkunft zugeschrieben. Zudem werden die Belange der prekär Beschäftigten im öffentlich-politischen Diskurs komplett ausgeklammert, betont Palenga-Möllenbeck und fordert eine stärkere Regulierung der Branche und eine allgemeine Aufwertung von Care-Arbeit.

Es stellt sich die Frage, wie der Migration- und Gender Pay Gap gesellschaftlich und politisch aufgebrochen werden kann.

Aus realpolitischer Sicht ist die Anerkennung ausländischer Abschlüsse eine wichtige Voraussetzung. Viele Frauen mit Migrations- und Fluchtgeschichte haben Abschlüsse in ihren Herkunftsländern gemacht, die jedoch nicht oder unter sehr komplizierten Bedingungen anerkannt werden. Folglich werden sie nicht in ihren erlernten Berufen eingesetzt – trotz des offensichtlichen und viel beklagten Fachkräftemangels in MINT-Berufen und im Pflegebereich.

Diskriminierung und Rassismus sind die Faktoren, die vom Gender Pay Gap zum Migration Gender Pay Gap führen.

Für mehr Antidiskriminierung in der Arbeit und flächendeckende Antidiskriminierungsstellen in Städten und Kreisen sprach sich Nadine Gernsberg, MDL der SPD aus. Auch anonyme Bewerbungsverfahren seien eine dringend notwendige Maßnahme. Christina Böhm, MdL der Linken, nimmt auch die Wirtschaft in die Verantwortung. Solange die Politik den Unternehmen keinen Riegel vorschiebt, werden sie weiterhin Stellen im Niedriglohnsektor mit hochqualifizierten Migrant*innen besetzen. Den Abbau des Gender- wie auch des Migration Gender Pay Gaps begreift auch Claudia Ravensburg, MdL der CDU, als eine gemeinschaftliche Aufgabe von Politik, Wirtschaft und Institutionen. Um den Gender Pay Gap aufzubrechen, muss aber gesamtgesellschaftlich angesetzt werden. Das funktioniert nur, wenn wir geschlechtsspezifische Rollen bewusst wahrnehmen und sie aufbrechen. Geschlechterrollen werden bereits in Kitas und Grundschulen erlernt und vorgelebt. In der Folge werden Geschlechterrollen weiter festgeschrieben und verfestigen sich in Mustern, die zu Gender Pay Gap führen, erläuterte Silvia Brünnel, MDL der Bündnis 90/Grünen im Panelgespräch.

Das „Wie“ ist die Frage, nicht das „Ob“!

Die intersektionale Ebene miteinzubeziehen und anzuerkennen sind unabdingbare Schritte, um die Realität des Migration und Gender Pay Gaps erfassen zu können:

„Sämtliche Teilaspekte sind wichtig. Selbst wenn wir uns als Institutionen und Parteien auf den Weg machen, um unsere Ziele erreichen zu können, müssen bessere Voraussetzung geschaffen werden. Jede*r muss vor seiner/ihrer eigenen Haustür kehren. Das bedeutet, dass jede*r von uns in der eigenen Institution, in der eigenen Partei, im eigenen Unternehmen, im eigenen Verband, im eigenen Umfeld genauer hinschauen und verantwortungsvoll handelt. Wir sollten uns die Fragen stellen: Sind wir diskriminierungsfrei, sind wir barrierefrei? Wo stehen wir? Wie divers sind wir? Wie gehen wir mit unseren eigenen Vorurteilen um? Setzen wir unsere Machtpositionen zum Guten ein? Sind wir uns über unsere eigenen Privilegien bewusst? Und nur so sind wir auch tatsächlich glaubwürdig, nicht nur in dem was wir sagen, sondern auch in dem was wir tun! Wir müssen die schwer erkämpften Frauenrechte würdigen und uns dementsprechend verhalten. Wo sind rassistische und sexistische Strukturen am Arbeitsmarkt und wie können wir diese bekämpfen? Was brauchen wir, um dies zu ändern? Dafür braucht es mutige Politiker*innen, die tatsächlich etwas ändern wollen und es auch umsetzen!“, so Dr. Delal Atmaca, Geschäftsführerin von DaMigra.

Die unterschiedlichen Ebenen in Verbindung mit der brisanten Lage, um den Migration und Gender Pay Gap zu bringen, ist unabdingbar, um ein ganzheitliches Bild zu bekommen und Lösungen zu schaffen. Gleichzeitig braucht es auf politischer Ebene klare Entscheidungen und positive Maßnahmen. Eine echte Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und relevanten Akteur*innen muss verstärkt und ausgebaut werden. Wir brauchen als Gesellschaft konkrete Strategien und Maßnahmen. Unbedingt müssen Initiativen und Selbstorganisationen, die sich für die Interessen und Rechte von migrierten und geflüchteten Frauen einsetzen, gestärkt und unterstützt werden.

Wir machen weiter. Kompromisslos solidarisch. Und vor allem: Feministisch!

Pressestimmen zur Veranstaltung:

DaMigra diskutiert über doppelte Diskriminierung von migrantischen Frauen – Frankfurter Rundschau

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