Bericht zur DaMigra Jahreskonferenz 2021 „Frauengesundheit – (k)ein Thema trotz 40 Jahre CEDAW? Migrantinnenrechte und Mehrfachdiskriminierung in der Gesundheitspolitik“
Die Corona-Pandemie sensibilisiert Gesellschaft und Politik nun mittlerweile seit 1,5 Jahren für das Thema Gesundheit und Gesundheitsversorgung. Dass aber besonders Migrierte und Geflüchtete in den Diskursen, sowohl als Patient*innen, als auch als Pflegende in den systemrelevanten Berufen nicht zu Wort kamen, ist nur ein Symptom dieser Pandemie.
Aus diesem Grund machte DaMigra die gegenwärtige Gesundheitspolitik samt ihrer Folgen und Diskriminierungen besonders für migrierte, geflüchtete Frauen und auch queere Menschen zum Schwerpunkt der Jahreskonferenz.
Zahlreiche Mitfrauen von DaMigra, aber auch Interessierte aus Politik und Medien, fanden sich in den Räumlichkeiten des Mercure Hotels ein. Eröffnet wurde die Jahreskonferenz von Dr. Martina von Bassewitz, Leiterin des Referats „Teilhabe und Medien“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie stellte dabei die Arbeit und Geschichte von DaMigra vor. Die Vorstandsvorsitzende von DaMigra, Kook-Nam Cho-Ruwwe schloss danach mit ihrer Eröffnungsrede an. Dabei betonte sie, welche aktuellen Mehr- und Vielfachdiskriminierungen im Gesundheitssektor bestehen, und dass diese nur durch eine intersektionale Perspektive bekämpft werden können. Eben jene bedarf es für eine diskriminierungsfreie Versorgung im Gesundheitssektor:
„Gesundheitsversorgung muss für alle in Deutschland lebenden Frauen gesichert sein, unabhängig von Nationalität, Herkunft, Wohnort oder Aufenthaltsstatus“, so Kook-Nam Cho-Ruwwe, Vorstandsvorsitzende von DaMigra.
Danach folgte das umfangreiche Programm der Konferenz in 3 Themenblöcken: aktueller Stand der Umsetzung von CEDAW (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women, UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau) in Deutschland, Zugänge und Diskriminierungen im Gesundheitssektor sowie Teilhabe von Frauen in Gesundheitsberufen. Inhaltliche Einführungen zu aktuellen Studien aus Deutschland, Österreich und der Welt gaben den Zuhörer*innen einen ersten Einstieg. Vertieft wurden die Themen jeweils in den Podiumsdiskussionen. Es bestand in allen drei Blöcken rege Teilnahme aus dem Publikum und großes Interesse, sich in die Fish Bowl Diskussion einzubringen.
Der erste Block zu den rechtlichen Grundlagen von CEDAW in Deutschland startete mit dem Input der Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, Prof.in Dr. Maria Wersig. Sie verdeutlichte, dass die Bundesregierung sich als Unterzeichnerin für eine rechtliche und faktische Gleichstellung von Frauen in allen Lebenslagen verpflichtet. Diesbezüglich plädierte sie für eine aktive Politik für alle in Deutschland lebenden Personen. Prof. Dr. Wersig führte dabei Instrumente an, die CEDAW weiter in Deutschland verankern sollen. Dazu gehören u.a. regelmäßige Berichte der Regierung an den CEDAW Ausschuss, Individualbeschwerdeverfahren und vor allem Schulungen in der Justiz. Tatsächlich wissen viele Beteiligte nicht, dass CEDAW auch innerstaatlich verbindlich ist. Abgerundet wurden diese komplexen Themen durch Forderungen, von Menschenrechts- und Interaktivistinnen, binäre Geschlechterstrukturen zurückzuweisen und auch hier intersektional zu denken:
„Die Bundesrepublik kommt ihren Verpflichtungen hinsichtlich der allen Menschen garantierten gesundheitlichen Versorgung, die sich aus den ratifizierten Menschenrechtverträgen ergeben, nicht nach. Sie richtet die Politiken und Kontrollen an der Norm von heterosexuellen männlichen Cis-Menschen aus. […] Eine intergeschlechtlich geborene Frau im Rollstuhl, die sich selbst als People of Color und der Frauen liebenden Frauen zuschreibt kommt in den schützenden Konzepten nicht vor.“, so Lucie G. Veith, Intergeschlechtliche Menschen e.V., Mitglied der CEDAW-Allianz Deutschland.
Block zwei konzentrierte sich auf die Themen ethische Public Health und gesundheitsökonomische Perspektiven auf Inklusion und Exklusion. Diese leitete Dr. Sonja Novak Zezula, Managing Director des Zentrums für Gesundheit und Migration, Wien mit ihrer Präsentation ein. Dabei stellte sie fest, dass der Zugang zum Gesundheitssystem für illegalisierte Migrant*innen europaweit eingeschränkt ist. Spezifische Barrieren für Frauen zeigen sich in administrativen Hürden, wie der Terminvereinbarung am Telefon, komplexen Registrierungsprozessen oder fehlenden Dokumenten.
Ein mangelndes Vertrauen in das System, Falschinformationen in sozialen Netzwerken und die Angst der Patientinnen vor Diskriminierung sind einige weitere.
Lilith Raza, LSVD e.V. Lesben- und Schwulenverband, erläuterte im Podium:
„Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist für viele geflüchtete Menschen nicht einfach und darunter leiden auch FLINT* (Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinär und Transfrauen) Geflüchtete. Viele trans* und In
ter* Frauen brauchen Zugang zu Hormonen und medizinischen Behandlung, die nur für krankenversicherte Personen verfügbar und mit vielen Hürden verknüpft sind.“
Reem Alabali-Radovan, zukünftiges Mitglied des Bundestages der kommenden Legislaturperiode, betonte die Wichtigkeit der Lobbygruppen, diese Themen in die Politik einzubringen. Dafür bedarf es auch noch mehr Frauen im Bundestag, die sich intersektional und feministisch positionieren.
Die Teilhabe von Frauen in den Gesundheitsberufen wurde im dritten und letzten Block beleuchtet. Prof.in Thea Borde stellte dabei fest, dass wir einen demografphischen und epidemologischen Wandel erleben, bei dem die Gesundheitsversorgung immer mehr an Gewicht zunimmt, nicht erst seit Corona. Im Bezug auf die Gesundheitsberufe führte sie den Gender Migration Pay Gap an, der für mirgierte Frauen in dieser Branche bei 13 Prozent liegt. Wie gravierend Rassismus und Sexismus den Arbeitsalltag, damals wie heute bestimmen, bekräftigten DaMigra Expertinnen Kateryna Savina und Vorstandsvorsitzende Kook-Nam Cho-Ruwwe auf dem Podium. Sie teilten mit uns ihre Erfahrungen als Pflegepersonal. Der hohe Druck auf migrierte Frauen im Gesundheitssektor sowie die anhaltende rassistische und sexistische Diskriminierung führt dazu, dass Beschäftigte im Durschnitt nur 4,8 Jahre ihren Beruf ausüben. Obwohl Begriffe wie Rassismus auch in der Gesa
mtgesellschaft mehr artikuliert werden, gibt es seitens der Institutionen nur schleppende Reaktionen und kaum Bewusstsein bei Aufsichts-/Personalräten.
Eine echte, gesellschaftliche Veränderung kann aber nur durch echte demokratische Mitbestimmung aller Betroffenen erreicht werden:
„Durch das Wahlrecht für alle kann mehr Vielfalt in die Parlamente kommen und etwas geändert werden!“ so Kateryna Savina, Regionalkoordinatorin Nord-Ost des MUT-Macherinnen*-Projekts von DaMigra.
Die Abschlussworte der Vorstandssprecherin Lourdes Martínez bekräftigten DaMigras Forderungen: Dazu gehört der Appel, dass der Staat und seine Institutionen Sorge zu tragen haben, dass Internationale Menschenrechtsabkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention, Istanbul-Konvention oder CEDAW zum Wohle aller umgesetzt werden, um geschlechtsspezifische Diskriminierung geschlossen zu bekämpfen!
Im Podium brachten Expertinnen verschiedene Lösungsansätze ein, wie diversitätssensible Schulungen für das Pflegepersonal, die Beseitigung sämtlicher Zugangsbarrieren zum Gesundheitssystem (Aufhebung des willkürlichen Krankenschein-Systems) sowie faire Bezahlung für alle im Pflegesektor.
Das gesamte Programm mit den Informationen über alle Podiumsgästinnen finden Sie hier.
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