Betroffene von häuslicher Gewalt abgeschoben, Täter ungestraft.
So versagt Deutschlands Rechtssystem beim Gewaltschutz für Migrantinnen* und geflüchtete Frauen*.
Berlin, 16.11.2020. Aytan hatte als Betroffene von häuslicher Gewalt in Deutschland alle Rechtsmittel ausgeschöpft, um sich selbst vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie wurde abgeschoben, während der Täter ungestraft bleibt. Dieses Versagen bei Schutz und Strafverfolgung von geschlechtsspezifischer Gewalt an Migrantinnen* ist kein Einzelfall.
Am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen* veröffentlicht DaMigra daher einen Schattenbericht zur Istanbul-Konvention, um die strukturellen Mängel beim Gewaltschutz von Frauen* mit Migrations- und Fluchtgeschichte aufzuzeigen.
Aytan wurde abgeschoben, weil ihre Aufenthaltserlaubnis von ihrem gewalttätigen Ehemann abhing. Sie ist damit eine von vielen Familiennachzüglerinnen*, die einem besonderen Gewaltrisiko ausgesetzt sind. Täter nutzen die Angst vor einer Abschiebung aus, um die Frauen* unter Druck zu setzen. Aytan hatte den Mut, die Unterstützung und die Möglichkeiten, ihren gewalttätigen Ehemann dennoch zu verlassen. Viele andere Migrantinnen* in einer ähnlichen Situation hingegen verbleiben in solchen gefährlichen Beziehungen. In der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt soll dieser Gefahr entgegengewirkt werden. Die Bundesregierung hat jedoch einen Vorbehalt auf genau jene Absätze in Artikel 59, die gewaltbetroffenen Frauen* das Recht auf eheunabhängige, eigenständige Aufenthaltstitel zugestehen.
Es gibt in Deutschland auf dem Papier eine Härtefallregelung, von der auch Opfer von häuslicher Gewalt Gebrauch machen können. In der Realität können sich die Frauen* jedoch nicht darauf verlassen, denn sie gilt nicht für alle Aufenthaltsformen und es gibt keine Mindeststandards oder Kriterien für die Beurteilung von Härtefällen. Jede Behörde entscheidet anders. Das schafft eine große Rechtsunsicherheit für die Frauen*.
Darüber hinaus stehen gewaltbetroffene Frauen* bei Entscheidungen über ihr Asylverfahren oder Härtefallverfahren unter einem enormen Druck, ihre Gewalterfahrungen beweisen zu müssen. In einer Atmosphäre des ständigen Missbrauchsverdachts müssen sie in entwürdigenden und retraumatisierenden Verfahren ihre Gewaltgeschichte immer wieder erneut durchleben.
„Die Bundesregierung weigert sich einen Gewaltschutz für alle Frauen konsequent umzusetzen. Wenn eine Frau endlich den Schritt schafft, sich aus einer gewaltvollen Ehe zu lösen, dann muss ein eigenständiger, eheunabhängiger Aufenthaltstitel so unbürokratisch wie nur möglich zu bekommen sein.“ so Dr. Delal Atmaca, Geschäftsführerin von DaMigra e.V.
Die Mängel im Gewaltschutz gehen weit über aufenthaltsrechtliche Fragen hinaus. Für Menschen mit Migrationsgeschichte oder jene, die als solche gelesen werden, sind präventive Maßnahmen, Schutz- und Strafverfolgungsmaßnahmen in Deutschland nicht in gleichem Maße zugänglich. Viele von ihnen kennen das Schutzsystem nicht und haben keinen Zugang Informationen in ihren Sprachen. Geflüchtete Frauen* mit Residenzpflicht oder Wohnsitzauflage können oft nicht in einem Frauen*haus unterkommen, weil es in der eigenen Stadt keine freien oder zu wenige Plätze gibt. Die Betroffenen in Notsituationen warten sehr oft viel zu lange auf eine Umzugsgenehmigung.
Der Schattenbericht
Ein Jahr lang erstellte DaMigra e.V., der Dachverband der Migrantinnen*organisationen, gemeinsam mit Expertinnen* aus migrations- und gleichstellungspolitischem Kontexten einen Schattenbericht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention. Die Istanbul-Konvention ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit der Ratifizierung der Konvention verpflichtet, einen Bericht über ihre Fortschritte und Maßnahmen hinsichtlich der in der Konvention genannten Ziele abzugeben. In der Regel erstellen Nichtregierungsorganisationen sogenannte Schattenberichte, die bei der Beurteilung Deutschlands durch das sogenannte GREVIO-Komitee herangezogen werden.
Der Schattenbericht von DaMigra zeigt auf, wo Frauen* mit Migrations- oder Fluchtgeschichte beim Zugang zu Gewaltschutz, Prävention und Strafverfolgung benachteiligt werden.
GREVIO-Schattenbericht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland
Allgemeine Informationen zum DaMigra-Schattenbericht
Pressegespräch (24.11.20): Aufzeichnung und Statements der Expertinnen*
Pressemeldung: Betroffene von häuslicher Gewalt abgeschoben, Täter ungestraft.
Pressestimmen
Partnerschaftliche Gewalt: Der Staat als Nebentäter – Berliner Zeitung am 25.11.2020
Asylrecht verhindert Frauenschutz – Frankfurter Rundschau am 25.11.2020
Pressekontakt:
Alexandra Vogel, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Mail: presse@damigra.de
Telefon: 0178 962 9274
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