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Gesprächsrunde „Teilhabe von Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte am Arbeitsmarkt, am Studium und an der Ausbildung in Pandemie-Zeiten“

Die Corona Pandemie und der folgende Lockdown haben die Gesellschaft zunächst in eine Schockstarre verfallen lassen und anschließend eine Zeit des Rückzugs eingeläutet. Trotzdem schaffen es viele Menschen dieser Phase der Einkehr auch etwas Positives abzugewinnen. Menschen mit Flucht- und Migrationsbiografie jedoch, sind in besonderem Maße isoliert und leiden unverhältnismäßig stark unter den Einschränkungen.

In diesem Sinne kamen am Donnerstag, den 22.10.2020 interessierte Zuhörer*innen und Expertinnen* zu einer Gesprächsrunde zum Thema Teilhabe von Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte am Arbeitsmarkt, am Studium und an der Ausbildung in Pandemie-Zeiten zusammen.

Unter der Moderation der Journalistin Sou-Yen Kim wurde schnell deutlich wie vielschichtig die Erfahrungen und Betroffenheiten von Arbeitnehmerinnen*, Studierenden und allgemein Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte in pandemischen Zeiten sind. Denn geflüchtete Arbeitnehmer*innen sind überdurchschnittlich von den Folgen der Pandemie betroffen. Aber was bedeutet das in der Praxis?

„Der Lockdown und die Corona-Einschränkungen haben uns sehr geschadet, weil wir im Gesundheitsbereich in Person arbeiten. Wir haben direkt in den Frauen-Cafés gearbeitet, mit unserer Zielgruppe Mütter dort. Durch den Lockdown hinkt unsere Akquise sehr hinterher, wir erreichen die Frauen nicht mehr.“  konstatiert İlknur Gümüş, Leitung des „Stark im Beruf“-Projekts bei IBBBC e.V.

Franziska Hartmann vom Projekt ARRIVO BERLIN Übungswerkstätten bei der S27 – Kunst und Bildung schließt sich an:

„Als ein Projekt, das Kurse im Handwerksbereich zur Ausbildungsvorbereitung anbietet und eine Anlaufstelle ist, sind bei uns durch den Lockdown alle Präsenz-Angebote zum Erliegen gekommen. Dadurch stockt die Wissensvermittlung, das kostet viel Zeit im Nachhinein. Aber auch auf Unternehmensseite haben sich durch den Lockdown und die Corona-Beschränkungen viele Betriebsabläufe rund um eine Ausbildung verschoben.“

Besonders bei Angeboten die eng an Präsenzveranstaltungen und praktische Arbeiten gebunden sind, standen die Organisationen vor enormen Schwierigkeiten und Ausfällen. Aber auch für Beratungsstellen und andere Organisationen erlahmte das Tagesgeschäft und viele Angebote mussten abgesagt oder umgeplant werden. Anan Jakich, Jobcoach für geflüchtete Frauen, schildert, dass auch sie als helfende Organisationen dabei an ihre Grenzen kommen und zusätzlich mit komplizierter Bürokratie der deutschen Behörden konfrontiert sind. Selma Yilmaz-Schwenker, Projektleitung bei ISI e.V. führt weiter aus:

„Im März war für uns erstmal Krisenmanagement angesagt. Wir hatten noch viele Anmeldungen von Teilnehmerinnen für geplante Veranstaltungen und wollten sie nicht verlassen. Wir haben also entschieden, dass es irgendwie weitergehen musste. Wir hatten zuvor noch keine digitalen Veranstaltungen, digitale Formate mit unseren Zielgruppen waren vor ein paar Jahren nicht vorstellbar. Und auch wir mussten erstmal herausfinden wer was im Team konnte, alles war learning-by-doing.“

Der Umstieg auf digitale Angebote war aber nicht nur für die Organisationen schwierig. Vielen Menschen steht oft keine ausreichende technische Ausrüstung zur Verfügung, um an Onlineseminaren und Co. teilzuhaben. Franziska Hartmann verdeutlichte diese Hürden eindringlich:

„Während des Lockdowns waren wir auch komplett digital, aber Onlineseminare sind technisch zu hochschwellig für viele unserer Trainees. Viele haben nur ein Handy. Die Angebote durften dementsprechend auch nicht zu viel Bandbreite verbrauchen, gerade in vielen Gemeinschaftsunterkünften ist ein starkes und stabiles Internet nicht immer gewährleistet gewesen. Es waren und sind also vor allem niedrigschwellige digitale Angebote notwendig.“

Hinzukommt, dass insbesondere Frauen* mit Flucht- und Migrationsgeschichte nicht nur durch zu hohe technische Anforderungen abgedrängt werden, auch psychologische Einschnitte bedrohen ihre Teilhabe am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft. Isolation, Perspektivlosigkeit und fehlende soziale Kontakte bereiten eine potente und gefährliche Mischung. Anan Jakich beschreibt die psychologischen Folgen der Pandemie:

„Viele Menschen sind jetzt allein, vor allem alte Menschen sind sehr isoliert. Es kann schwierig sein den Kontakt zu Sprachpartnern zu halten. Die wenigen online Angebote für Psychotherapien sind da bei weitem nicht ausreichend.“

Ebenso wenig angemessen ist die staatliche Unterstützung in vielen Fällen erklärt İlknur Gümüş:

„Viele Frauen sind von öffentlicher Förderung des Jobcenters abhängig und leben somit nicht selten am Existenzminimum. Unter den derzeitigen Umständen reicht das Geld oft nicht aus. Beispielsweise mussten auf einmal drei Mal täglich Essen für die Kinder bereitgestellt werden, vorher bekamen viele von ihnen mindestens eine Mahlzeit in der Schule oder Kita.“

Die Soforthilfen für Selbstständige waren für Sema Yilmaz-Schwenker ein zweischneidiges Schwert:

„Bereits Ende März gab es Soforthilfen für Selbstständige, wir haben dann sechs Wochen lang jeden Tag Beratungen für die Antragstellung angeboten. Es war wenig Bürokratie, aber trotzdem gab es viele Komplikationen: Zum einen wurden nur die Betriebskosten abgedeckt, aber viele Freiberufler*innen arbeiten im Homeoffice, d.h. sie haben nur sehr geringe Betriebskosten. Miete und Lebensunterhalt fallen dabei also raus, sollten aber mitinbegriffen sein. Und obwohl es einen Austausch mit den staatlichen Behörden gab, gab es dennoch zu wenig Informationen über die genauen Konditionen der Soforthilfen. Viele unserer Teilnehmerinnen hatten Angst und haben das Geld wieder zurückgezahlt.“

Corona hat also nicht nur Abläufe in Organisationen durcheinandergebracht, sondern besonders Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte das Ankommen, den Spracherwerb und die Arbeitsplatzsuche erschwert. Die Pandemie und der Lockdown befeuern zusätzlich den völligen Rückzug in die eigenen Gruppen und Communities und drängt die Menschen somit erneut aus der Mehrheitsgesellschaft. Sie wirft Menschen, die bereits vielversprechende Schritte hin zu einer selbstbestimmten Teilhabe an Arbeitsmarkt, Bildung und der Gesellschaft getan haben, erneut ab. Besonders für Frauen* war letzteres und die zunehmende Isolation von ihren Netzwerken und sozialen Kontakten, häufig gepaart mit einnehmenden Familienstrukturen, besonders dramatisch. Dabei hatten sie zusätzlich noch die Hauptlast der Kinderbetreuung zu tragen. Für manche Frauen bedeutete das effektiv einen Ausstieg aus der Arbeitssuche und somit einen weiteren Einschnitt in ihrer Teilhabe.

Für Menschen mit Flucht- und Migrationsbiografie verkörpert die Corona Pandemie Steine und Felsbrocken auf einem Hürdenlauf zu gleichberechtigter Teilhabe an Arbeitsmarkt, Bildung und Gesellschaft.

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