Gesundheit von Frauen mit Fluchterfahrung: Für ein ganzheitliches Denken
Ein Gespräch mit Beate Weingartner, Koordinatorin des Projekts Women for Women der Charité Berlin, anlässlich des internationalen Aktionstages für Frauengesundheit
„Wir alle sind Frauen.“ So beginnt jede Gesprächsrunde, die im Rahmen des Projekts Women for Women der Charité in Berliner Notunterkünften für Geflüchtete angeboten wird. Für die Koordinatorin des Projekts, Beate Weingartner, ist es besonders wichtig, dass die Ärztinnen, die die Gesprächsrunden anleiten, auf diese Weise eine gemeinsame, vertrauensvolle Ebene mit den geflüchteten Frauen herstellen. In den Gesprächsrunden bekommen Frauen mit Fluchterfahrung Informationen zu Themen wie Verhütung und Geburtshilfe, aber auch über Krebsvorsorge im deutschen Gesundheitssystem. Diese Runden eröffnen einen Raum für ein persönliches Gespräch und um Fragen zu stellen.
Das Frausein ist dabei ein wichtiger Faktor, der alle Anwesenden dieser Gesprächsrunden verbindet. Jedoch stehen geflüchtete Frauen aufgrund struktureller Barrieren in Deutschland vor großen Hindernissen beim Zugang zu medizinischer Versorgung – einem grundlegenden Menschenrecht.
Es fehlt an professionell ausgebildeten Sprachmittler*innen während der Ärzt*innenbesuche. Laut Beate Weingartner müssen die Frauen sich diese in vielen Fällen selbst organisieren oder sie benutzen Sprachmittlungsapps auf ihren Smartphones, die aber medizinische Sachverhalte kaum adäquat übersetzen. Dabei kann Sprache im höchstsensiblen Kontext von Frauengesundheit ein sehr wichtiger, wenn nicht sogar ausschlaggebender Faktor einer erfolgreichen Therapie sein.
Viele Frauen haben Angst, zum*r Ärzt*in zu gehen. Ein Grund dafür: Diskriminierungserfahrungen im Umgang mit Behörden in Deutschland. Hinzu kommt auch die Sorge, möglicherweise abgeschoben zu werden. Psychosoziale Themen, insbesondere aber auch gynäkologische Fragestellungen sind für manche Frauen oft mit Scham verbunden und werden daher insbesondere gegenüber männlichem Personal nicht geäußert. „Es geht schlicht um Vertrauen“, so Beate Weingartner.
Darüber hinaus findet kaum Aufklärungsarbeit in den Erstsprachen der Frauen statt, über die die sie Informationen über das deutsche Gesundheitssystem bekommen können. Es ist diese allgemeine Unkenntnis, die zu einem Gefühl der Überforderung bereits bei scheinbar so einfachen Dingen wie der Terminfindung für Ärzt*innenbesuche führt. Schwangere Frauen wüssten zum Beispiel nicht, dass sie ihre Geburt vor der Niederkunft anmelden müssen, erklärt Beate Weingartner.
Außerdem mangelt es in den Krankenhäusern an qualifiziertem Personal und damit an Zeit. „Manche Frauen haben auf ihrer Flucht Vergewaltigungen erlebt. Bei einer gynäkologischen Untersuchung bleibt kaum Zeit, damit angemessen, also sorgsam umzugehen. Die Ärzt*innen haben keine Kapazitäten oder wissen nicht, wie sie mit derlei Traumata umgehen müssen.“
Auch die Personaldecke in Notunterkünften ist meist sehr dünn. So bleibt keine Zeit, um sich angemessen um die Anliegen der Frauen zu kümmern. Zudem ist die Situation in den Unterkünften von Platzmangel und Lautstärke und einer schlechten Betreuungssituation ihrer Kinder geprägt. Solange sie sich wegen fehlender Betreuungsangebote ausschließlich selber um ihre Kinder kümmern müssen, haben die Frauen kaum Möglichkeiten, an Sprachkursen oder Qualifizierungsangeboten teilzunehmen oder Ärzt*innenbesuche wahrzunehmen. Ängste und Sorgen rund um ihre Zukunft, ihre Aufenthaltserlaubnis oder Wohnsituation belasten die Frauen zusätzlich.
Die spezifischen Bedürfnisse von Frauen mit Fluchterfahrung im Zusammenhang mit medizinischer Versorgung sind vielschichtig. Da viele Frauen über Jahre hinweg keine Vorsorgebehandlung wahrnehmen konnten, beispielsweise, da in ihren Herkunftsländern Krieg herrschte, haben viele Frauen ein erhöhtes Risiko, an unerkanntem Brustkrebs zu leiden. Um auch die psychischen Folgen der Fluchterfahrung aufzufangen, kooperiert Women for Women mit der International Psychosocial Organisation Ipso, die psychosoziale Beratung in Erstsprachen anbietet.
Um eine bessere medizinische und psychologische Versorgungslage für Frauen und Kinder mit Fluchtgeschichte gewährleisten zu können, braucht es:
- professionell geschulte Sprachmittler*innen
- mehr und vor allem im Umgang mit geflüchteten Frauen geschultes medizinisches Personal in den Krankenhäusern und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens
- niederschwellige Informationsangebote zu relevanten Themen
- mehr Personal und bessere Lebensbedingungen in den Notunterkünften
- Hilfe bei der Wohnungssuche
- mehr Kinderbetreuungsangebote zur Entlastung der Frauen.
Um die gesundheitliche Situation von geflüchteten Frauen zu verbessern, müssen zudem Einzelpersonen, Gemeinschaften, Menschen aus verschiedenen Berufen und Behörden zusammenarbeiten. Verbesserte Kommunikation, Wissen über die besonderen Bedürfnisse und Anliegen von geflüchteten Frauen durch einen integrierten und systemübergreifenden Ansatz können zu positiven Veränderungen führen.
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