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Stellungnahme zum Referentenentwurf des § 62c AufenthG n.F. des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat

Der Dachverband der Migrantinnenorganisation DaMigra e.V. bedankt sich für die Möglichkeit zur Stellungnahme zum Referentenentwurf des § 62c AufenthG n.F. des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat.

Allerdings ist vorab anzumerken, dass die extrem kurze Frist zur Stellungnahme zu einem Vorhaben, welches auf Freiheitsentziehung bzw. weitreichende Freiheitseinschränkungen der Betroffenen und erhebliche Beeinträchtigung des Grundrechts auf Asyl zielt, der Bedeutung der Sache nicht gerecht wird. Zudem fällt die gewährte Frist in die Sommerpause des Bundestags und Urlaubszeit, so dass die Stellungnahme unter diesen erschwerten Bedingungen nicht fristgemäß erfolgen konnte.

 

Zusammenfassung

Der Dachverband der Migrantinnenorganisationen lehnt aus folgenden Gründen den Referentenentwurf zur erweiterten Vorbereitungshaft gemäß § 62c AufenthG n.F. ab:

  • Die Begründung des Entwurfs wurde nicht mit Fakten und Zahlen belegt, die die Notwendigkeit des Gesetzesvorhabens rechtfertigen würden.
  • Der verfassungsgemäße Richtervorbehalt bei Freiheitsentziehungsanordnungen wird rechtswidrig verletzt.
  • Die Erforderlichkeit der Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Ziels ist nicht hinreichend dargelegt.

 

Zu dem Referentenentwurf im Einzelnen

Problem und Ziel

Der vorliegende Referentenentwurf bezeichnet es als „Problem“, dass Ausländer*innen vor Anordnung der Sicherungshaft Asyl beantragen. Dies habe zur Folge, dass eine Haftanordnung verunmöglicht werde, da der Asylantrag den Aufenthalt des Ausländers/der Ausländerin* zum Zwecke der Durchführung des Asylverfahrens erlaubt und damit keine vollziehbare Ausreisepflicht besteht. Die angebliche Regelungslücke soll durch die neue Regelung einer ergänzenden Vorbereitungshaft für bestimmte Fälle beseitigt werden.

Die Regelung würde bedeuten, dass das Grundrecht auf Asyl damit stark eingeschränkt oder gar untergraben wird.

Es ist nicht hinnehmbar, dass das Stellen eines Asylantrages als Problem der Haftanordnung zugrunde gelegt wird. Der Asylantragstellung wird von vorneherein als missbräuchlich eingestuft. Dem Referentenentwurf ist jedoch an keiner Stelle zu entnehmen, wie viele Personen vor ihrer Haftanordnung einen Asylantrag gestellt haben sollen, um auf diese Weise eine Haftanordnung zu umgehen. Dem Bundesministerium müssten Zahlen hierüber vorliegen, wenn hier von einem Problem ausgegangen wird. Indes ist die Rede von „bestimmte[n] Fälle[n]“ äußerst vage und vermag die erhebliche Tragweite der Grundrechtseinschränkung nicht zu rechtfertigen.

 

Die Betroffenen

Des Weiteren sieht die hier in Rede stehende Regelung keine differenzierende Behandlung hinsichtlich der Betroffenen vor. Alle stehen unter dem Generalverdacht des Missbrauchs des Asylverfahrens und der Fluchtgefahr. Die Regelung würde „Frauen*“ treffen, die ihren Aufenthaltsstatus verlieren, wenn sie sich von ihren Ehemännern trennen und die Voraussetzung der dreijährigen Lebensgemeinschaft nicht erfüllen. Sie trifft Frauen*, die zum Zweck der Zwangsheirat oder der Prostitution ins Land gebracht wurden. Sie trifft Frauen*, die vor geschlechtsspezifischer Gewalt in ihren Heimatländern flüchten und Frauen*, die auf ihrem Fluchtweg Gewalttaten wie Vergewaltigungen erfahren mussten, aber keinen Asylschutz genießen. Sie halten sich in ihrer Zwangslage ohne Papiere auf, werden mit Wiedereinreiseverbot ausgewiesen. All diese Frauen*, die unter dem Schutz der Istanbul-Konvention stehen, werden verurteilten Straftätern gleichgestellt. Die Schutzfunktion der Istanbul-Konvention verliert durch die Regelung effektiv weiter eingeschränkt.

Von der Regelung können außerdem Frauen*, Kinder und Familienmitglieder von ausgewiesenen Personen oder unbegleitete Minderjährige betroffen sein, die keine Möglichkeit hatten, selbst Asyl oder eigene Aufenthaltsgenehmigungen zu beantragen. Auch sie würden faktisch Straftätern gleichgestellt und mitinhaftiert werden.

Das Grundrecht auf Asyl wird durch die Bestimmung massiv eingeschränkt – eine differenzierende Betrachtung und Behandlung der betroffenen Zielgruppen wird in gesamten Referentenentwurf nicht berücksichtigt.

 

Richtervorbehalt

Nach dem Bundesverfassungsgericht ist die Freiheit ein zentrales Grundrecht, das auch für Nichtdeutsche gilt. Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, müssen danach auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (BVerfGE 58, 208, 222; 70, 297, 308; NJW 1998, 1774, 1775; InfAuslR 2008, 358, 360; NJW 2009, 2659, 2662). Eine nachträgliche richterliche Anordnung genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck infolge des Abwartens der richterlichen Entscheidung nicht erreichbar wäre. Daraus folgt aber, dass Freiheitsentziehungen, die konkret geplant werden können, in der Regel eine richterliche Anordnung vorauszugehen hat.

Damit steht der vorliegende Referentenentwurf im Widerspruch zu dem Grundsatz des Richtervorbehalts.

 

Ermessen der haftantragstellenden Behörde

Indem der haftantragstellenden Behörde die Befugnis eingeräumt wird, einen „Ausländer“ ohne vorherige richterliche Anordnung festzuhalten und vorläufig in Gewahrsam zu nehmen, wird der handelnden Behörde weitreichendes Ermessen ohne Rücksicht auf bestehende Schutzbestimmungen eingeräumt.

Das Verbot der Zurückweisung gemäß Art. 61 II der Istanbul-Konvention droht durch die erweiterte Vorbereitungshaft unterlaufen zu werden. Nach Art. 61 II der Istanbul-Konvention dürfen Opfer von Gewalt gegen Frauen* unabhängig von ihrem Status oder Aufenthalt unter keinen Umständen in einen Staat zurückgewiesen werden, in dem ihr Leben gefährdet wäre, oder in dem sie der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen werden könnten. Das Zurückweisungsverbot findet sich in den Bewertungskriterien des § 62c Abs. IV AufenthG n.F. nicht wieder.

Ebenso wenig findet eine Prognose über die Aussicht der Asylantragstellung in den Bewertungskriterien des § 62c Abs. IV AufenthG n.F. Berücksichtigung.

Stattdessen werden für die Beurteilung gemäß § 62b IV Ziff. 1). u. 3) Kriterien des dringenden Tatverdachts bzw. des begründeten Verdachts des Sich-Entziehens der Haftanordnung eingesetzt. Der für den Haftantrag zuständigen Behörde werden Befugnisse eingeräumt, die vergleichsmäßig der strafrechtlichen Verfolgungsbehörde etwa im Rahmen der Anordnung der Untersuchungshaft gemäß § 112 StPO zustehen. Die Anordnung der Untersuchungshaft ist allerdings dem Richter vorbehalten, während hier die haftantragstellende Behörde die betroffene Person auch ohne richterliche Anordnung vorläufig in Gewahrsam nehmen könnte.

Nicht nur soll in diesem Fall die richterliche Anordnung entbehrlich sein, sondern durch den unbestimmten Begriff „vorläufig in Gewahrsam“ werden nicht abgrenzbare Befugnisse für die handelnde Behörde eröffnet, die aufgrund dessen den Betroffenen auf nicht vorhersehbare Dauer die Freiheit entziehen könnte.

Zudem werden bei der Bewertung des Fluchtverdachts auf in der Vergangenheit liegende Verhaltensweisen der Betroffenen zurückgegriffen, die regelmäßig bereits Gegenstand vorheriger Verfahren waren. Im Bereich des Strafrechts könnte das Verbot der Doppelbestrafung dem entgegenstehen.

 

Rechtsbeistand, Unterstützung durch Hilfsorganisationen

In der ergänzenden Vorbereitungshaft ist zwar Zugang zu Rechtsbeistand und Hilfsorganisationen geregelt, wie etwa in der Abschiebehaft nach §§ 58a IV, 62a II, IV AufenthG. Allerdings werden die Betroffenen aufgrund der Freiheitsentziehung faktisch kaum Möglichkeit haben, sich umfassende Beratung und Unterstützung zu holen. Gerade die schutzbedürftigen Personen, deren Opferidentität erst mit intensiver Unterstützung und Begleitung durch Fachberatungsstellen, Hilfsorganisationen aufgedeckt wird, werden durch den praktischen Zugangsausschluss in ausweglose Lage versetzt.

 

Erforderlichkeit der Maßnahme

Die Erforderlichkeit der Regelung ist fraglich.

Bei zurückkehrenden Strafverurteilten, die nach § 456a Abs. 1 StPO abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen worden sind, kann die Vollstreckung nach § 456a Abs. 2 StPO nachgeholt werden.

Die Vollstreckungsbehörde kann hierzu einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl erlassen.

Im AufenthG existieren mit Abschiebehaft, Sicherungshaft, Vorbereitungshaft, Zurückschiebungshaft, Ausreisegewahrsam reihenweise Freiheitsbeschränkungsmaßnahmen.

Bereits der Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (Geordnete-Rückkehr-Gesetz) aus dem Jahr 2019 musste nach Kritik zahlreicher Verbände von der erweiterten Vorbereitungshaft, die praktisch systemwidrige Beugehaft bedeutet, absehen.

Ob die ergänzende Vorbereitungshaft erforderlich ist und das gesetzte Ziel erreichen würde, lässt sich ohne konkrete Belege und Zahlen zu vermeintlichen Fälle nicht sagen.

Als Schlussfolgerung bleibt festzuhalten, dass durch die Regelung des § 62c AufenthG die Grundrechte auf Freiheit und auf Asyl massiv eingeschränkt werden bzw. ausgehebelt werden. Dieses Vorhaben zur Grundrechtsverletzung entbehrt jeder Grundlage und Verhältnismäßigkeit.

DaMigra spricht sich aus diesen Gründen entschieden gegen den Referentenentwurf aus.

 

Stellungnahme hier downloaden

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