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Was bedeutet es, gemeinsam intersektionale Kämpfe zu führen? Ein Statement

Anlässlich des Massenfemizids vor einem Monat in Atlanta zeigte sich wieder einmal die hässliche Fratze rechter, misogyner und rassistischer Gewalt. Im ersten Teil unseres Statements beleuchten wir daher verschiedene Dynamiken von Gewalt gegen chinesisch gelesene Frauen* in den USA und in Deutschland. Im zweiten Teil schauen wir auf das koloniale Erbe unserer Gesellschaft und die Gründe, weshalb Rassismus und Sexismus weiter bestehen. Im dritten Teil schildern wir unsere Beobachtung im Kampf gegen jede Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit. Und wir stellen fest: Nur in einer solidarischen Einheit können wir uns (davon) befreien!

In Memory In Restistance: Das Attentat von Atlanta

Am 16.03.2021 wurden Hyun Jung Grant, Xiaojie Tan, Daoyou Feng, Suncha Kim, Soon Chung Park, Yong Ae Yue, Delaina Ashley Yaun und Paul Andre Michels von einem sexistischen Rassisten ermordet.

Seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich die Angriffe auf chinesisch gelesene Menschen in den USA laut Bericht der Initiative Stop AAPI vervielfacht. Stop AAPI bestätigt, dass über 70 Prozent dieser Hass-Verbrechen sich explizit gegen Frauen* richteten. Auch in Deutschland hat Rassismus speziell gegen chinesisch gelesene Frauen* seit Beginn der Corona-Pandemie stark zugenommen. Darauf machen verschiedene asiatisch-deutsche Organisationen und Aktivist*innen auch hierzulande aufmerksam. Dass unsere Communities darüber hinaus tagtäglich in Deutschland rassistisch angegriffen werden, ist leider anhaltende Realität für alle Migrierten und „anders gelesenen“. Über diese unmittelbare Gefahr berichteten wir bereits anlässlich des rassistischen Übergriffes in Erfurt.

Der Hass gegen Frauen* spiegelte sich auch im rassistisch motiviertem Femizid in Atlanta wider. Um die Motive dieser Tat zu verstehen, reicht es nicht, auf einzelne Diskriminierungen zu schauen:

„Migrierte Frauen* sind vielschichtigen Diskriminierungen ausgesetzt. Daher reicht es auch nicht aus, Gewalt gegen sie ausschließlich aus einer Rassismus Perspektive zu betrachten, sondern auch sexistische Vorurteile, die eine lange koloniale Vergangenheit mit sich bringen, mit einzubeziehen. Vielmehr handelte es sich beispielsweise bei dem kürzlich begangenen Attentat in Atlanta um rassistisch motivierte Femizide, also Morden an Frauen*, eben weil sie Frauen* waren.“, Kook-Nam Cho-Ruwwe (Vorstandsvorsitzende von DaMigra e. V.)

Femizide sind ein globales Problem. Minütlich sterben Frauen* und Mädchen* weltweit, weil sie Frauen* und Mädchen* sind. Femizide sind keine Einzelfälle. Es sind keine „Beziehungsdramen“, keine „Familientragödien“, „Ehrenmorde“. Das Attentat von Atlanta zeigte, dass rassistische-kolonialistische Stereotype Hand in Hand mit Frauen*hass gehen. Ob in Asien, Afrika, Amerika, Australien oder Europa – hinter jedem Femizid steht auch patriarchales Denken und Handeln.

Dieses patriarchale, misogyne System gepaart mit rassistischem Denken wird durch ständige Wiederholung in der Gesellschaft, den Medien, der Literatur, Bildungseinrichtungen usw. verstärkt.

Die westlich-europäische Sicht auf ost-asiatisch gelesene Frauen* als „Liebesdienerinnen“ ist fest in der westlich-europäischen Literatur und Kultur verankert.

Von Giaccomo Puccinis „Madame Butterfly” bis zu David Bowie’s „China Girl“ – der „weiße“ Blick auf ost-asiatisch gelesene Frauen* sieht stets ein willfähriges, den sexuellen Gelüsten des weißen Mannes entsprechendes Objekt.

Wenn der Attentäter von Atlanta als Begründung der Morde seine Sexsucht angibt, weswegen er in von asiatisch gelesenen Frauen* betriebenen Massagesalons eine „Versuchung“ sieht, dann drückt sich darin genau jene sexualisierte Sichtweise aus.

Diese Sichtweise ist nicht auf die USA beschränkt, wie die Baumarktkette Hornbach in ihrem Werbespot von 2019 belegt – hier war es das sexualisierte Bild einer ost-asiatisch aussehenden Frau*, die sich an den stinkenden Unterhosen schwitzender weißer Männer sexuell erregen durfte.

Die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock – Rassismus gegen „Vertragsarbeiter*innen“ in Deutschland

1991 überfielen gewalttätige Rechtsradikale ehemalige DDR-Vertragsarbeiter*innen in Ihrer Sammelunterkunft im sächsischen Hoyerswerda. 1992 kam es in Rostock-Lichtenhagen zu schlimmsten rassistischen Ausschreitungen. Rund 1000 Rechtsextreme griffen einen Wohnblock mit vietnamesischem Arbeiter*innen an und steckten ihn unter dem Applaus und dem Gejohle von 3000 Zuschauenden in Brand. Die nur zögerlich eintreffende Polizei und Feuerwehr zogen sich zwischenzeitlich ganz zurück. Fast drei Jahrzehnte danach müssen wir ernüchternd feststellen, dass diese Taten sich in der gesamten Bundesrepublik und weltweit immer wieder ereigneten. Das liegt daran, dass dieselben rassistisch-chauvinistischen Strukturen gepaart mit patriarchalen Denkmustern immer noch bestehen.

Rassistisch-sexistische Gewalt gegen Frauen* ist ein koloniales Erbe

Koloniale Mächte weltweit rechtfertigten schon im 15. Jahrhundert die Ausbeutung und Unterdrückung anderer Völker und Personengruppen mit einer angeblichen weißen, westlichen Überlegenheit. Die Klassifizierung der Menschen nach äußerlichen Merkmalen, Religion, Geschlechtsidentität, Klasse etc. diente einer einzigen Funktion: die kulturelle Abwertung anderer, die Erschaffung eines legitimierten Grundes für ihre Ausbeutung und die Akkumulation von Besitz.

Dieses Erbe zeigt sich noch heute in unserer patriarchalen Gesellschaft. Rassismus, Sexismus und Klassismus dienen dem Erhalt von Besitz und Privilegien für wenige und damit der sozialen Ungleichheit. Der Begriff Ethnosexismus bezieht sich dabei auf eben jene Form der Diskriminierung auf der Basis von Ethnie [Race] und Geschlecht. Grundpfeiler des patriarchalen Systems sind tradierte, also fest verankerte Werte einer „starken“ Männlichkeit, die Frauen*, Migrierte, Mitglieder der LGBTQI+ Community und alle diversen Lebensentwürfe dabei abwerten.

Der schmale Grat zwischen Identitätspolitik & Vereinheitlichung

Wir beobachten, dass Diskurse über verschiedene Formen von Rassismus und Sexismus nicht immer auch alle Betroffenen mitdenken. Der Begriff „anti-asiatischer Rassismus“ beispielsweise wird oft nur im Zusammenhang mit Ost- und Südostasien verwendet. Was ist aber beispielsweise mit Ländern wie der Türkei, Indien, Pakistan, Russland oder dem Iran? Wir erinnern uns, dass insbesondere der Kolonialismus phänotypische Merkmale als künstlich-erschaffende Begründung unserer angeblichen „Andersartigkeit“ verwendet hat.

Wir sollten daher kritisch beim Analysieren und Wiedergeben verschiedener Debatten um rassistisch-sexistische Diskriminierungen sein. Oftmals gleichen sich die Erfahrungen mit denen anderer betroffener Gruppen. Sie sind somit nicht immer nur speziell einer einzelnen Gruppe zuzuordnen.

Im Zuge der Berichterstattung vom Attentat von Atlanta wurde beispielsweise der Anschlag in Hoyerswerda oft thematisiert. Neben Vietnames*innen, lebten dort aber auch Menschen aus Rumänien, Ghana, dem Iran und Bangladesch. Auch hier wurden viele andere Identitäten nicht benannt, um speziell den sogenannten „anti-asiatischen“ Rassismus hervorzuheben.

Vor mehr als 30 Jahren stellte Audre Lorde fest: „Es gehört zum Standardrepertoire des rechten Zynismus, Angehörige diskriminierter Gruppen gegeneinander auszuspielen. Solange wir aufgrund bestimmter Identitätsanteile gespalten sind, werden wir es nicht schaffen, uns zu einem wirksamen politischen Handeln zusammenzuschließen.“[1]

Im Kampf gegen sexualisierte, geschlechtsspezifische Gewalt ist es daher immer notwendig, die individuelle Erfahrung in einem Kontext von Unterdrückung gegen alle Frauen* zu verstehen.

Nicht nur ost-asiatisch gelesene Frauen* unterliegen sexualisierten und rassistischen Zuschreibungen und Fetischisierungen, sondern alle migrierten Frauen*, nur in unterschiedlicher Weise.

Dabei ist zu betonen, dass jede individuelle Erfahrung wichtig ist und hörbar gemacht werden muss; denn unsere Migrationsbiografien und die Geschichten unserer Vorfahren können unterschiedlicher nicht sein. Gleichwohl dient eine individualistische Sicht auf einzelne Diskriminierungen nicht dem einheitlichen, organisierten Kampf gegen patriarchale Strukturen. Was uns eint sind die multiplen Diskriminierungserfahrungen aufgrund von Rassismus, Sexismus, Klassismus usw. Um eine Zukunft ohne diese Unterdrückung zu erlangen, müssen wir diesen Weg gemeinsam und geschlossen gehen.

Leider erleben wir immer wieder, dass sowohl unter uns migrierten Frauen* aber auch in der Gesamtgesellschaft ein „Betroffenheits-Bingo“ gespielt wird, um zu zeigen, wer von den ohnehin schon unterdrückten Personen denn nun am „schlimmsten dran sei“. Dabei verlieren wir das gemeinsame Ziel aus den Augen und die Rechten freuen sich über jede Ablenkung, die einen einheitlichen Kampf verhindert. Ganz im Sinne von Audre Lorde möchten wir daher an alle, die sich dem Kampf für soziale Gerechtigkeit verschrieben haben, sagen: Lasst euch nicht gegeneinander ausspielen!

In dieser solidarischen Einheit sollten wir auch entschieden den Medien und der Dominanzgesellschaft entgegentreten und damit jede Form von Rassismus in unseren Communities sichtbar machen, um sie somit auch bekämpfen zu können. Greifen sie eine von uns an, greifen sie uns alle an.

[1] Lorde, Audre (1984): Es gibt keine Hierarchie der Unterdrückung. In: AnouchK Ibacka Valiente (Hg.) 2015: Vertrauen, Kraft und Widerstand. Kurze Texte von Audre Lorde. Berlin: w_orten & meer, S. 45 – 48.

 

Statement hier downloaden

Pressemeldung „Wir müssen unsere Würde beschützen“ zur rassistischen Attacke in Erfurt im April 2021

 

DaMigra e.V. ist die Interessenvertretung von Migrantinnen*selbstorganisationen und ihren Belangen und setzt sich für Chancengerechtigkeit, gleichberechtigte Teilhabe und für die Gleichstellung von Frauen* mit Migrationsgeschichte und Fluchterfahrung in Deutschland ein. DaMigra verfolgt den Ansatz des Antirassistischen Feminismus.

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