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Weil Ankommen Mut Braucht: Anerkennung ausländischer Abschlüsse

„Der Abschluss meines Mannes wurde anerkannt, deswegen brauchte er keinen Neuanfang zu machen.“ Fatima Aldibo

Am 18. Dezember 2022 erscheint unsere Dokumentation „Weil Ankommen MUT braucht“. In dem Film erzählt die Protagonistin Fatima Aldibo aus Stralsund, welche Schritte sie nehmen musste und immer noch nimmt, um auch in Deutschland ihren eigentlichen Beruf der Lehrerin auszuüben. Ihr syrischer Uniabschluss wurde nicht anerkannt, sodass sie erst eine Ausbildung zur Erzieherin abgeschlossen hat und jetzt neben ihrer Berufstätigkeit in einer Kita an der Hochschule Neubrandenburg Sozial- und Kindheitspädagogik studiert.

Beruflichen Erfolg kann man nicht einheitlich definieren, er hat viele verschiedene Facetten. Neben persönlicher Zufriedenheit gibt es auch noch: Erwerbseinkommen, Verantwortung in der beruflichen Position, das Level an Sicherheit beziehungsweise Prekarität oder die Möglichkeiten für beruflichen Aufstieg innerhalb eines Unternehmens. Wenn Migrantinnen und Migranten nach Deutschland kommen, insbesondere wenn sie hastig geflüchtet sind und sich keine weitreichenden Gedanken über ihren Neuanfang machen konnten, müssen diese sich oftmals erst mit den Formalitäten des deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes auseinandersetzen. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass wenn ausländischen Berufsabschlüsse für Migrantinnen und Migranten anerkannt werden, es sehr schnell zu positiven Effekten auf dem Arbeitsmarkt führt – nach einem Jahr ist es zu 17% wahrscheinlicher, dass sie in einem Beschäftigungsverhältnis sind und nach drei Jahren bereits 25% mehr als Menschen, die keine Anerkennung ihrer beruflichen Abschlüsse beantragt haben oder bewilligt bekommen.[1] Der Datenreport 2019 des Bundesinstitut für Berufsbildung hält auch fest, dass Bildungsqualifikationen einer der größten Faktoren ist, der die Höhe des Einkommens von Menschen mitbestimmt.

In Deutschland können Migrantinnen und Migranten ihre im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen im Vergleich mit deutschen Abschlüssen auf Gleichwertigkeit überprüfen lassen. 2012 wird das über das sogenannte Anerkennungsgesetz geregelt, das den Menschen ein Recht auf diese Prüfung gibt, auch um den gravierenden Fachkräftemangel in Deutschland mit vereinfachten Zugängen zu bekämpfen. Es gilt allerdings nur für Berufe, für die die Bundesländer nicht zuständig sind. Die Ländergesetze regeln Lehrberufe, viele soziale und medizinische Berufe, sowie den Beruf der Erzieher*innen und Architekt*innen. Die meisten Anträge werden in den so genannten reglementierten Berufen gestellt – das sind zum Beispiel Ärzt*innen, Apotheker*innen, Psychotherapeut*innen oder Geburtshelfer*innen, aber auch Lehrer*innen und Rechtsanwält*innen. Ohne staatliche Anerkennung der Abschlüsse dürfen diese Berufe nicht in Deutschland ausgeübt werden. Viele Migrantinnen in Deutschland sind gut qualifiziert. Statistiken zeigen, dass fast 15 Prozent der Frauen mit Migrationshintergrund einen Hochschulabschluss haben.[2] Die Zahlen zeigen jedoch auch, dass Migrantinnen seltener einer Beschäftigung nachgehen als Frauen ohne Zuwanderungsgeschichte. In Deutschland lag die Erwerbsbeteiligung der Frauen mit Migrationshintergrund bei 59 Prozent, während sie bei Frauen ohne Migrationshintergrund 75 Prozent erreichte.[3] Zudem sind sie häufiger nur geringfügig und auch nicht ihrer tatsächlichen Ausbildung entsprechend beschäftigt und werden weniger bezahlt als Frauen ohne Migrationshintergrund. Außerdem sind die Erwerbstätigenquoten von Frauen aus dem EU-Ausland höher als die von Frauen aus Drittstaaten.[4]

Das IAB stellt aber fest, dass nur 19 Prozent der Migranten mit formaler beruflicher Qualifikation (hierbei wird nicht zwischen beruflichen Qualifikationen in reglementierten oder nicht reglementierten Berufen unterschieden), die zwischen 2004 und 2009 eingewandert sind, in den ersten zwei Jahren nach ihrer Ankunft in Deutschland einen Antrag auf Anerkennung gestellt haben, obwohl diese Anerkennung so wichtig ist. Dabei werden laut Angaben des Bildungsberichts 2016 über 95 Prozent der Anträge zumindest teilweise anerkannt.[5]Die Gründe für das nicht Stellen eines Antrags sind verschieden:

Die Ergebnisse der IAB Untersuchung weisen darauf hin, dass geringere Kosten, vereinfachte Verfahren und bessere Informationen über den Prozess und die Erfolgsaussichten steigern könnten. 2020 wurde der „Nationale Aktionsplan Integration“ von der Bundesregierung beschlossen, die bundesweit auch die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen mit vier Zielen weiterarbeiten sollen – dazu gehören ein Anerkennungszuschuss, eine zentrale Beratungsstelle, mehr Vernetzung unter den relevanten Akteur*innen und gebündeltere Servicestrukturen, vor allem im Gesundheitswesen ausgebaut werden. Es soll auch um Sprachförderung und Beratung, sowie digitale Formate ausbauen gehen.[6]

Die Frauen, mit denen wir in unserer Arbeit Kontakt haben berichten von den Schwierigkeiten und Hürden Abschlüsse anerkennen zu lassen – es ist mit Kosten, Bürokratie, Enttäuschungen und viel Wartezeit verbunden. Dazwischen muss die Zeit oft mit Leistungen vom Jobcenter überbrückt werden und es werden berufliche Vorschläge oder Weiterbildungsformate unterbreitet, die sehr wenig mit der eigentlichen Ausbildung der Frauen zu tun haben. Das führt zu Frust und Scham, insbesondere bei Frauen, die es gewohnt sind, selbstbestimmt ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen und Entscheidungen zu treffen. Im runden Tisch in Berlin berichtete eine syrische Frauenärztin davon ewig auf Anerkennung gewartet zu haben und immer noch keine Approbation, sondern nur eine Erlaubnis zur Ausübung ihres Berufs erhalten zu haben – obwohl sie ihr Hauptstudium in der Ukraine absolviert hatte. Fatima Aldibo durchläuft nach einer mehrjährigen Ausbildung jetzt ein Studium an einer deutschen Hochschule und ist somit dreifach ausgebildet, wenn sie damit fertig ist – und musste im Gegensatz zu ihrem Mann neben aus Syrien neu ankommen, Geld verdienen und Kinder erziehen Jahre Einsatz und Motivation aufbringen, um in ihren eigentlichen Beruf zurückzufinden.

Diese unfairen und anstrengenden Rahmenbedingungen können zu Apathie und Hoffnungslosigkeit führen, die das Selbstbewusstsein, aber auch die finanzielle Unabhängigkeit und Gesundheit der Frauen und ihrer Familien negativ beeinflussen.  

Die gleichberechtigte und vereinfachte Teilnahme am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, inbesondere für von Mehrfachdiskriminierung betroffene Bevölkerungsgruppen wie geflüchtete Frauen, ist kein Nebenschauplatz.

Wir, DaMigra e.V., fordern daher ein bedürfnis- und qualifikationsorientiertes Weiterbildungs- und Vermittlungsangebot und auch Integrations- und Sprachkurse der zuständigen Behörden. Dazu gehören für uns ein verbessertes Angebot von Sprachkursen als betriebliche Weiterbildung, die schnellere und flexiblere Anerkennung und Übertragbarkeit ausländischer Berufs- und Studienabschlüsse, geeignete Anpassungsqualifizierungen an deutsche Berufsqualifizierungen und den Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten.

Dieser Beitrag ist im Rahmen der Kampagne rund um unseren Film „Weil Ankommen Mut braucht“ entstanden. In der Dokumentation berichten drei Frauen mit Migrationsgeschichte über ihren Weg in den deutschen Arbeitsmarkt und die Hürden, mit denen sie zu kämpfen haben. Der Film wird am Tag der Migrant*innen, am 18.12.22, auf dieser Website veröffentlicht.


[1] Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (09.02.2021): Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse steigert die Beschäftigungschancen um 25 Prozentpunkte

[2] Vgl. Tabelle „D7 Bevölkerung im Alter von 25 bis unter 65 Jahren 2011-2015 nach Migrationsstatus, Geschlecht, Altersgruppen und höchstem beruflichen Bildungsabschluss“. http://
www.integrationsmonitoring-laender.de/tabellen

[3] Vergleiche Tabelle „E1a Erwerbstätige im Alter von 15 bis unter 65 Jahren 2011–2017 sowie Erwerbstätigenquoten nach Migration und Geschlecht“
auf Datenbasis Mikrozensus 2017. https://www.integrationsmonitoring-laender.de/indikatoren/e1a

[4] Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2019, Seite 195.

[5] https://www.iab-forum.de/anerkennung-auslaendischer-abschluesse-buerokratieabbau-und-b
essere-information-koennten-die-antragsquote-erhoehen/

[6] https://www.anerkennung-in-deutschland.de/html/de/pro/aktuelles-nap-i-kernvorhaben-anerkennung.php

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