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Wir werden das Demokratiedefizit zur Bundestagswahl sichtbar machen!

kohero Magazin, am 27.09.2021. Daria Aukudinova, Referentin bei DaMigra e.V., im Interview.

12,8 % der Menschen in Deutschland sind von den anstehenden Bundestagswahlen ausgeschlossen – sie besitzen kein Wahlrecht, viele aufgrund ihrer ausländischen Staatsbürgerschaft. Fast die Hälfte davon sind Frauen. Eine von ihnen ist Daria Aukudinova. Kohero hat mit ihr über Demokratie und ihre Arbeit bei DaMigra gesprochen.

Bei DaMigra e.V., dem Dachverband der Migrantinnenorganisationen, kämpft Daria Aukudinova für ihre eigenen Rechte und die ihrer Mitmenschen. 71 Organisationen werden bundesweit durch den Verband repräsentiert – zu Themen wie politischer Teilhabe, Antidiskriminierung und Gesundheit. DaMigra vernetzt, empowert und bewegt die Bundespolitik mit Lobbyarbeit, damit nicht nur über, sondern mit Migrantinnen gesprochen wird. Zur aktuellen Bundestagswahl hat der Verband anhand konkreter Fragen, bzw. Wahlprüfsteinen, eine Wahlampel erstellt. Diese verschafft einen Überblick zu den Standpunkten der Parteien zu den Themen Arbeit, Bildung, Gesundheit, Gewalt und politische Teilhabe.

Nur deutsche Staatsangehörige können bei Bundestagswahlen wählen oder gewählt werden. Auf kommunaler Ebene haben EU-Bürger*innen zwar ein passives Wahlrecht, Drittstaatsangehörige können aber auch hier nicht wählen. Warum kann das für unsere Gesellschaft ein Problem darstellen?

Die Diversität in Deutschland, von der oft gesprochen wird, wird politisch nicht repräsentiert. Wenn ich mich als Teil dieser Gesellschaft nicht repräsentiert fühle, dann ist das natürlich auch eine Ausgrenzung. Das heißt, ich darf hier leben, ich darf hier Steuern zahlen, aber ich darf nicht mitbestimmen, wer über mein Leben regiert. Es geht jetzt nicht um große Fragen, sondern generell um Entscheidungen für meine Stadt, meine Straßen und so weiter. Ich finde es traurig, dass es nach wie vor nicht der Fall ist, dass wir alle gleichberechtigt sind. Was ich auch sehr problematisch finde, ist, dass auf diese Weise die Drittstaatsangehörigen, die hier länger leben, so zu Menschen zweiter Klasse gemacht werden. Privilegien sind hier nicht gleichberechtigt verteilt.

Schon seit über einem Jahrhundert kämpfen Frauen weltweit für Emanzipation und Gleichberechtigung. Zusätzlich Migrantin zu sein, scheint insbesondere politische Teilhabe zu einer riesigen Doppelaufgabe zu machen.

Die mehrfache Diskriminierung wird besonders jetzt sichtbar: Wenn wir auf die weltweite Situation schauen, was gerade in Afghanistan passiert, wo die hart erkämpften Frauenrechte einfach zunichte gemacht werden von patriarchalen Strukturen. Aber auch die politische Situation in Deutschland – wir sehen, dass Frauen in der Politik unterrepräsentiert sind und die Zahl sogar weiter zurückgeht. Und wenn wir von Migrantinnen sprechen, dann ist die Zahl noch niedriger. Ich glaube, genau diese Mehrfachdiskriminierung, erstens diskriminiert zu sein aufgrund des Frauseins, aber zweitens auch aufgrund von diversen Merkmalen, wie zum Beispiel Herkunft oder Hautfarbe, ist ein riesiges Problem. Wenn Rassismus mit Sexismus verschränkt wird, dann wird die Lage noch prekärer. Es ist sehr wichtig, diese Realität, die bittere Realität, die wir jetzt erleben, sichtbar zu machen und natürlich etwas dagegen tun.

„Wählen zu dürfen sollte kein Privileg sein, sondern ein Grundrecht für alle, die hier leben.“

12,8% der Bevölkerung werden von unserer aktuellen Politik nicht repräsentiert. Das ist ein riesiges Meinungsspektrum, das gar keinen Anklang findet, oder?

Es ist ein Defizit der Demokratie, wenn so viele Menschen, die Teil dieser Gesellschaft sind, nicht mitbestimmen dürfen. Zum Teil leben und arbeiten sie seit Jahren in Deutschland, haben also ihren Lebensmittelpunkt hier. Es ist schade, dass die deutsche Bundesregierung dies nicht so sieht. Deswegen werden wir besonders in diesem Superwahljahr diese Probleme sichtbar machen, zum Beispiel mit unseren Wahlprüfsteinen. Wir haben Fragen mit für uns relevanten Punkten an alle demokratischen Parteien verschickt und uns am Wahlomat und Wahltraut beteiligt, um noch einmal deutlich zu machen, wie wir jetzt zumindest dem Ziel der gleichberechtigten politischen Teilhabe näherkommen können.

Politische Bewegungen von Ausländer:innen in Deutschland gibt es schon seit Jahrzehnten, spätestens seit der Arbeiter:innenmigration in den 70er- und 80er-Jahren. Warum ist bis jetzt so wenig passiert? Was könnte die anstehende Wahl verändern?

Möglicherweise ist der politische Wille nicht da, obwohl so viel von Betroffenen gekämpft wurde und gekämpft wird. Allerdings gibt es auch Hoffnung, dass Deutschland endlich begreift, was es bedeutet, ein Einwanderungsland zu sein. Dass alle politisch mitbestimmen dürfen oder lassen zu dürfen. Ich selbst lebe seit 13 Jahren in Deutschland und bin trotzdem kein Teil dieser Gesellschaft, weil ich nicht alle Rechte habe. Ich habe kein Wahlrecht. Obwohl Deutschland ein sehr diverses und hochentwickeltes Land in Europa ist, scheint es nicht zu begreifen, dass man durch erweiterte Rechte auch Teile der Bevölkerung gewinnen kann. Politische Teilhabe sollte als Menschenrecht anerkannt werden. Wählen zu dürfen sollte kein Privileg sein, sondern ein Grundrecht für alle, die hier leben. Ich glaube, dass es dazu ein wenig an Solidarität fehlt. Es ist schon lange überfällig, das Wahlrecht für Drittstaatsangehörige in Deutschland einzuführen.

Wie kann DaMigra als Dachverband der Migrantinnenorganisationen bei solchen Themen Druck ausüben?

Als bundesweiter Dachverband fördert uns die Bundesregierung. Insofern haben wir die Möglichkeit, in Gremien unsere Interessen zu repräsentieren. Wir machen viel auf politischer Ebene, sowohl nationale, europäische als auch internationale Politik. Wir sprechen Themen offen an, oft auf Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen. Meistens sind bei unseren Veranstaltungen jedoch Gleichgesinnte, die alle derselben Meinung sind. Unsere Anliegen bauchen noch mehr Aufmerksamkeit und Reichweite, damit sich etwas bewegt. Wir können nicht mehr nur beobachten, wie es weiter geht, sondern es ist so weit, dass wir gemeinsam etwas aktiv dagegen tun sollten.

Was können Einzelne konkret tun? Wie können diese Menschen trotzdem unterstützt werden?

Auf jeden Fall wählen gehen. Ich glaube, das machen die meisten, die dieses Privileg haben und es ist sehr wichtig, davon Gebrauch zu machen. Wir haben uns, als wir die Wahlprüfsteine für die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt geschrieben haben, gefragt, welche Partei wie mit Migrationsthemen umgeht, insbesondere mit frauenspezifischen Themen, wie z.B. dem Schutz in Geflüchtetenunterkünften, Gewalt oder dem Schutz der ökonomischen Lage. Außerdem zur politischen Teilhabe und dem Wahlrecht für Drittstaatsangehörige. Menschen, die sich nicht entscheiden können, wen sie bei der Bundestagswahl wählen wollen, können den Wahlomat oder Wahltraut, bei der es um feministische Themen geht, nutzen. Sein Wahlrecht zu nutzen, ist eine gute Chance, sich zu engagieren.

Was rätst du Menschen, die eben nicht eine solche Stimme haben?

Politische Teilhabe ist natürlich viel mehr als nur das Wahlrecht. Wir verstehen das auch als soziales Engagement oder an sich etwas verändern zu wollen. Zum Beispiel in der Nachbarschaft oder in den Vereinen. Deswegen empfehle ich, einfach aktiv zu sein.

Was sind deine persönlichen Hoffnungen für die Bundestagswahl 2021?

Für diese Wahl hoffe ich natürlich, dass die Menschen, die das Wahlrecht haben, auch davon Gebrauch machen. Dass immigrierte Menschen, die hier seit Jahren leben oder die deutsche Staatsangehörigkeit haben, auch wählen gehen dürfen. Ich finde, das ist sehr wichtig. Ich werde bei der Bundestagswahl selbst auch durch die Stimme einer Freundin wählen und ich hoffe, dass die Menschen, selbst wenn sie nicht politisch aktiv sind, sich wenigstens in diesem Sinne einbringen.

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